Der Papst tritt zurück. Warum auch nicht? Ich teile den Respekt für den Schritt, der ihm jetzt allenthalben zuteil wird, auch wenn ich weder besonders religiös bin noch Näheres wüsste, was ihn jetzt genau dazu veranlasst hat. Er ist einfach alt, und warum soll er da noch arbeiten? Ich würde das in seinem Alter nicht mehr wollen.
Der Rücktritt ist dennoch ein Hammer. Ohne Ansehen der Person, auch ohne Ansehen des Amtes habe ich jetzt das Gefühl: Da ist eine spirituelle Instanz einer ganz eigenen Art säkularisiert worden. Ein Papst tritt nicht zurück – das gehörte zu den Lebensweisheiten seit meiner Kindheit, die sechs Päpste zurück liegt, so wie die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Wäre das Bild nicht aus einem Lied Luthers, könnte man jetzt auch frei nach ihm singen, “Ein feste Burg ist eingestürzt”. Wie wohl in keiner
anderen Epoche wird in der unseren das Wort “Jahrhundertereignis” oder auch gleich “Jahrtausendereignis” komplett überstrapaziert, egal ob es sich um einen etwas stärkeren Sturm handelt oder um ein Fußballtor. Der Rücktritt eines Papstes ist ein Jahrtausendereignis wie es im Buche steht, auch wenn einer der Amtsvorgänger Benedikts vor 800 Jahren es schon mal vorgemacht hat. Ausnahmen bestätigen die Regel, so konnte man es sehen. Bisher. Das geht jetzt nicht mehr.
Das Pontifikat bis zum Tod gehörte zu den Sonderlichkeiten der Kirche, die das Mystische ausmachte, das, ob man wollte oder nicht, auch einem Außenseiter wie mir Respekt einflößte. Man mag zu den Päpsten stehen wie man wollte, auch zu ihrer Amtsführung oder zu ihrer teilweise an den Tag gelegten Bigotterie – es ist einfach wundersam, dass von den bisher mehr als 300 Amtsinhabern nur ein einziger zurücktrat. Alle anderen waren von der Idee des Amtes (oder meinetwegen auch von anderen Gründen zu bleiben) so beseelt, dass sie durchhielten bis zum Tod, und damit auch für das ganz besondere des Amtes standen. Wie undenkbar bisher ein solcher Rücktritt war, zeigt sich auch daran, dass auch kein Papst zu diesem Schritt genötigt wurde, über fast zwei Jahrtausende. Eigentlich unvorstellbar, angesichts unzähliger Neider, Feinde, Intriganten, innerhalb und außerhalb der Kirche. Die einzige Art, ihn loszuwerden, war bisher, ihn zu ermorden (wie bei seinem Vorvorgänger Johannes Paul ja womöglich noch geschehen).
Viele Zeitgenossen werden den Schritt begrüßen, weil sie nichts sehnlicher erwarten können als eben die Säkularisierung der Kirche. Manche werden es vergleichen mit einem anderen “Papsttum”, das vor erst 20 Jahren beendet wurde, mit dem Amt des Generalsekretärs der KPdSU. Und es gab mal eine Zeit, in der der die Geschehnisse den Vergleich geradezu nahelegten, Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, als in kurzen Abständen mehrere Päpste und Sowjetführer kurz hintereinander auf der Bahre aus ihrem Amt schieden. Solche Vergleiche verbieten sich dennoch, weil sie die Wucht der zwei Jahrtausende Papsttum nicht erkennen.
Die Sehnsucht vieler Chronisten heute, bei welthistorischen Epochenwechseln endlich mal dabei zu sein, vom Kaliber der neolithischen Revolution, der Völkerwanderung, dem Ende der Geschichte, dem Aussterben der Dinosaurier oder dem ganz großen Klimawandel, wann erleben wir endlich mal wieder was? – es ist unübersehbar, siehe “Jahrtausendereignis”. Ein kleines Bisschen davon haben wir jetzt. Eine – nicht ganz unwichtige – Gepflogenheit von zwei Jahrtausenden wird beendet sein, mal eben. Noch diesen Monat. Und wir haben es erlebt. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich es finden soll.